Band 122 (II. Variante): Ritter Gluck / Der goldende Topf / Meister Martin der Küfer und seine Gesellen von E.T.A. Hoffmann. Reihenvorstellung der Königs Erläuterungen
15. Dezember 2015 12:54:36 CET
"Ritter Gluck / Der goldene Topf / Meister Martin der Küfer und seine Gesellen" (Blick ins Buch)
Mitte der 1960er Jahre entschied man sich die Bandnummer mit diesem Hoffmann-Sammelband zu ersetzen. Leider war dies nicht der richtige Zeitpunkt für Hoffmann und der Band wurde nach einigen Jahren nicht mehr aufgelegt. Dies hat sich mittlerweile grundlegend geändert. Aktuell ist er sozusagen richtig angesagt - ein Beweis dafür, dass auch Werke von älteren Autoren eine Chance haben wieder in den Schulen gelesen zu werden. Und nicht zu unrecht - für Hoffmann kann man sich auch als Schüler durchaus begeistern.
Unser Sammelband zeigte die verschiedenen Seiten des Dichters aus verschiedenen Schaffensphasen: den Musiker, den "Gespenster-Hoffmann", den skurrilen Fabulierer, den Dichter der "romantischen Ironie", den Bewunderer des deutschen Spätmittelalters. Er hinterließ über 50 Romane und Erzählungen, ein Dutzend Bühnenstücke sowie knapp 20 Instrumental- und Gesangswerke: "Die Wochentage bin ich Jurist und höchstens etwas Musiker, sonntags, am Tage wird gezeichnet, und abends bin ich ein sehr witziger Autor bis in die späte Nacht."
Die Vielfalt des Dichters zeigt sich auch darin, dass alles Skurrile, Geheimnissvolle, Doppelbödige, das sowohl im "Ritter Gluck" als auch den "Goldenen Topf" auszeichnet, im "Meister Martin" fehlt. Auch vom Ineinanderübergehen von Wirklichkeit und Phantasiewelt ist hier nichts zu spüren.
Aber dafür im "Goldenen Topf" - in aller Kürze -: Am Schluss findet Anselmus sein Glück in der völligen Hingabe an das Phantastische, obwohl ihn das der Alltagsrealität entfremdet und er ihr so entzogen wird. Dies kann sinnbildlich für die romantische Poesie gesehen werden, die den Menschen aus dem alltäglichen Geschehen reißt, ihn aber auch, wie es die Philister sehen, vereinsamen und weltfremd werden lässt. Schließlich gilt Hoffmann als die treibende Kraft der Romantik.
Hier noch ein Auszug aus "Ritter Gluck" - quasi als Appettithäppchen:
"Der Spätherbst in Berlin hat gewöhnlich noch einige schöne Tage. Die Sonne tritt freundlich aus dem Gewölk hervor, und schnell verdampft die Nässe in der lauen Luft, welche durch die Straßen weht. Dann sieht man eine lange Reihe, buntgemischt – Elegants, Bürger mit der Hausfrau und den lieben Kleinen in Sonntagskleidern, Geistliche, Jüdinnen, Referendare, Freudenmädchen, Professoren, Putzmacherinnen, Tänzer, Offiziere usw. durch die Linden nach dem Tiergarten ziehen. Bald sind alle Plätze bei Klaus und Weber besetzt; der Mohrrübenkaffee dampft, die Elegants zünden ihre Zigarros an, man spricht, man streitet über Krieg und Frieden, über die Schuhe der Mad. Bethmann, ob sie neulich grau oder grün waren, über den geschlossenen Handelsstaat und böse Groschen usw., bis alles in eine Arie aus »Fanchon« zerfließt, womit eine verstimmte Harfe, ein paar nicht gestimmte Violinen, eine lungensüchtige Flöte und ein spasmatischer Fagott sich und die Zuhörer quälen." (...)
"Nie sah ich einen Kopf, nie eine Gestalt, die so schnell einen so tiefen Eindruck auf mich gemacht hätten. Eine sanft gebogene Nase schloß sich an eine breite, offene Stirn, mit merklichen Erhöhungen über den buschigen, halbgrauen Augenbraunen, unter denen die Augen mit beinahe wildem, jugendlichem Feuer (der Mann mochte über fünfzig sein) hervorblitzten. Das weichgeformte Kinn stand in seltsamem Kontrast mit dem geschlossenen Munde, und ein skurriles Lächeln, hervorgebracht durch das sonderbare Muskelspiel in den eingefallenen Wangen, schien sich aufzulehnen gegen den tiefen, melancholischen Ernst, der auf der Stirn ruhte."
Werke von E.T.A. Hoffmann in unserem Programm: