Band 144/145: Der Oberhof von Karl Immermann. Reihenvorstellung der Königs Erläuterungen
25. April 2016 15:55:11 CEST
"Der Oberhof" ist ein Teil aus Karl Leberecht Immermanns "Münchhausen" und gehört heute wohl zu den weniger bekannten Werken der deutschen Literatur. Er hatte aber vor 100 Jahren zu Kaisers Zeiten eine treue Leserschaft und konnte sich so auch einen Doppelband bei den Königs Erläuterungen sichern, der bei uns bis in die 1940er Jahre erhältlich war - Blick ins Buch.
Was ist der Oberhof? Ein wohlhabendes Gehöft in der Westfälischen Börde, wo man trotz einer gewissen Ahnung neuzeitlicher Veränderungen noch sehr nach archaischen Regeln lebte. Patriarchalische Verhälnisse, gesellschaftliche Umgangsformen, Mythen und Rechtsverständnis hatten eine von städtischen und bürgerlichen Konventionen völlig verschiedene Form ("Es muß alles beim alten bleiben, sagte der Hofschulze feierlich.").
Wer Droste-Hülshoffs "Bilder aus Westfalen" mit ihren eindrücklichen Charakterisierungen der verschiedenen regionalen Mentalitäten kennt, findet hier sozusagen die epische Vertiefung einer dieser Spielarten. Und zwar in ausgesprochen unterhaltsamer Weise. Wir erfahren, dass der Hofschulze seinen Wohlstand demonstriert, indem er an Festtagen (auch sommerlichen) alle seine neun Jacken übereinander anzieht; erleben geheime Rechtsprechungsrituale mit einem dramatischen Haberfeldtreiben; lassen uns faszinieren von einer Drastik fernab der Bauerntheater-Plumpheit.
Natürlich fehlt auch nicht die romantische Liebessehnsucht, wobei sich unser historisches Interesse wohl eher auf Vernunftheirat richtet, deren eigenartige Anbahnung und die alles übertreffenden Ausschweifungen der Hochzeitsfeier. Es gibt in der Literatur sicherlich viele gelungene Beispiele für den Versuch, einer untergegangenen Zeit ein Denkmal zu setzen. Für diese Zeit und diese Region dürfte Immermann mit seinem Oberhof wohl unübertroffen sein.
Viel findet sich nicht mehr über Autor und Werk, einige schöne Rezensionen haben wir dennoch über das Werk gefunden, die wollen wir gerne anmerken:
"Recht einsam steht ein großer komischer Roman für sich, der "Münchhausen" von Immermann. Der "Oberhof" hat sich als ein willkürlich ausgebrochenes Stück daraus gerettet; er macht dem Ganzen zwar Ehre, gibt aber gar kein Bild davon. Wir haben außer Jean Paul so wenig große humoristische Erzähler [...], daß wir eine solche Rarität nicht untergehen lassen sollten. Der Münchhausen, ein Enkel des alten Lügenbarons, ist nicht bloß witzig, er ist wirklich komisch und entfaltet ein so vielfaches Weltbild, daß er trotz einiger Längewohl eine Reihe von Leseabenden lohnt. (Hermann
Hesse, "Deutsche Erzähler", 1915)
"Was ist von Karl Immermann geblieben? Die Erinnerung an einen aufrechten, streitbaren deutschen Dichter, der in manchem seiner Lebensumstände und Charakterzüge ein Lessing des neunzehnten Jahrhunderts war. Dem Theater gab er neue Impulse, indem er als Intendant und Dramaturg der Düsseldorfer Bühne, der Goetheschen Tradition folgend, sich im Spielplan und in der Aufführungspraxis gegen den Tiefstand im Theaterwesen der Zeit zur Wehr setzte. Er trat auf das Podium der Zeitkritik mit seiner Streitschrift für Goethes Roman „Wilhelm Meisters Wanderjahre“. Er gehörte zu den
ersten, die sich für Heinrich Heine erklärten [...]. Mit seinen beiden Romanen wurde Karl Immermann ein Dichter von nationalem Rang. Die „Epigonen“ eröffneten seine Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen der zwanziger und dreißiger Jahre in Deutschland und trugen dazu bei, deren ideologische Stützen zu erschüttern und zu überwinden. Mit dem Roman „Münchhausen“ setzte sich der Realismus gegen die romantische Kunsttheorie und ihre zahlreichen Produkte durch, entstand das Bindeglied zwischen den Romanen Goethes und der großen Realisten der folgenden Jahrzehnte, den Meisterwerken Gottfried Kellers und Theodor Fontanes. (Siegfried Seidel: Nachwort, in: Karl Leberecht Immermann: Münchhausen. Eine Geschichte in Arabesken. Leipzig 1968 (= Neue Epikon-Reihe), S. 1021-1022)