Band 152-155: Parzival von Wolfram von Eschenbach. Reihenvorstellung der Königs Erläuterungen
17. Juni 2016 15:15:29 CEST
In unserer nächsten Station der Reihenvorstellung handelt es sich um Eschenbachs „Parzival", einer der ältesten deutschen Werke überhaupt.
"Parzival" von Wolfram von Eschenbach ist ein Versroman der mittelhochdeutschen höfischen Literatur, der zwischen 1200 und 1210 entstand. Das Werk umfasst etwa 25.000 paarweise gereimte Verse und wird heute in 16 Bücher gegliedert. In kunstvoll verzahnten Handlungssträngen einer Doppelromanstruktur werden die Aventiuren erzählt, die abenteuerlichen Geschicke zweier ritterlicher Hauptfiguren.
Die Bearbeitung zu diesem umfangreichen Werk wurde bei uns auf jeweils zwei Doppelbände aufgeteilt:
KE 152/153: Parzival Buch 1-7, Einführung und Abhandlungen (Blick ins Buch)
KE 154/155: Parzival Buch 8-16 (Blick ins Buch)
Der erste Doppelband lief dabei über die Jahre etwas erfolgreicher und konnte sich immerhin bis in die 80er Jahre in unserer Reihe halten. Der Folgeband dagegen verabschiedete sich schon einige Jahre vorher zum Beginn der 70er.
Leider wird auch diesem bedeutenden Werk der deutschen Sprache wird heutzutage keine große Aufmerksamkeit mehr in den Schulen geschenkt. Schade, dass an unseren Schulen im Gegensatz zu anderen Ländern keines der alten Werke mit ihren Inhalten, ihrer besonderen Sprache, die damit verbundenen Bildungsinhalte vermittelt werden; Literaturgeschichte hat schon lange keine Konjunktur.
Aber wir lassen nicht locker und berichten: In allen unseren Bearbeitungen zu Parzival nimmt die Forschung über den Autor Wolfram von Eschenbach nicht geringen Raum ein. Noch wichtiger (und sehr hilfreich!!) sind die Erläuterungen zu den Personenkonstellationen, die die Symbolik der Personen und des Werks erschließen. Beeindruckend ist das Kapitel über die Entwicklung des Charakters Paszivals als kein fertiger sondern werdender Charakter. Alle Forscher haben sich außderdem vornehmlich mit der Konstellation Parzival und Gawan beschäftigt.
Der Parzival-Stoff behandelt komplexe Themengebiete. Es geht um das Verhältnis von Gesellschaft und Weltferne, die Gegensätze zwischen Männerwelt und Frauenwelt, die Spannung zwischen der höfischen Gesellschaft und der spirituellen Gemeinschaft der Gralshüter, um Schuld im existenziellen Sinn, Minne und Sexualität, Erlösungs-, Heils-, Heilungs- und Paradiesesphantasien. Aufgegriffen wird nach psychoanalytischem Fokus die Entwicklung des Protagonisten von seiner Selbstbezogenheit zur Empathiefähigkeit und zum Ausbruch aus der engen Dyade mit Parzivals Mutter Herzeloyde. Parzival ist zunächst ein Ignorant und Sünder, der im Handlungsverlauf zu Erkenntnis und Läuterung gelangt und bei seinem zweiten Besuch auf der Gralsburg Munsalvaesche die Schande des Frageversäumnisses wieder gut machen kann. Parzival ist die Erlösergestalt im Gralsmythos.
Unser Autor Professor Ferdinand Hoffmann greift tief in die Interpretationskiste; ein Mann, der seinen Beruf sicherlich aus Überzeugung ausgeübt hat. Er schreibt über die "die Ideengestalt des Parzival" siehe Blick ins Buch:
"Der tiefsinnige Wolfram von Eschenbach hat hundert Jahre vor Dante bereits mit offenem Auge in hene unendliche Jenseits-Wirklichkeit geblickt, die unserem kurzen irdischen Dasein zugrunde liegt; denn ihm bot, gleich manchem anderen Dichter siener Zeit, die menschliche Tragodie der diesseitigen Welt den gleichen wesenlichen, vergänglichen trüben Anblick dar, den wir in Dates "Göttlicher Komödie" wiederfinden. Alles weist auf eine andere Welt hin: Schönheit, Liebe, Tugend, Glückseligkeit, kurz alles, was des Dichtersn Herz bewegt, hat einen verborgenen Bezug auf etrwas Höheres als dieses zeitliche Leben. Das höchste Ziel der Poesie besteht darin, den Geist in eine Regionen zu versetzten, wo er das Walten der göttlichen Allmacht und Liebe voll empfindet und in selige Anbetung versinkt."
Also Entschuldigung, der Parsival liest sich doch wie der Plot zu einem unglaublich bunten Ritter-Computerspiel! Die Kinder unserer Angestellten haben das zumindest bei der Probe aufs Exempel erst mal geglaubt: "Die Abenteuer im Zauberschloss"
Die erste Tücke, die Gawan im Schloss überwinden muss, ist der spiegelglatte Fußboden, der von Klingsor höchstpersönlich entworfen wurde, aber vor allem das Zauberbett Litmarveile.
Dieser glatte Fußboden scheint den besonders gefährlichen Weg zur Minne zu symbolisieren, welche durch das Bett sehr passend dargestellt ist. Der erste Versuch, den Gawan unternimmt, Litmarveile zu besteigen, scheitert kläglich. Erst durch einen kühnen Sprung gelangt er schließlich auf das Bett. Dieser Szene ist eine gewisse Komik nicht abzusprechen, sie symbolisiert wohl die, teilweise belustigenden, Bemühungen mancher Männer um Minnedienst.
Als das Bett nun wie wild geworden durch den Raum jagt, um Gawan loszuwerden, zieht der Ritter den Schild über sich und betet zu Gott. Hier befindet sich Gawan in einer Situation, die für einen normalen Menschen ausweglos erscheinen würde, einem hilflosen Moment. Dabei soll wohl auf den gefährlich-demütigenden Aspekt der Minne hingewiesen werden. Da Gawan aber bereits alle Facetten der Minne durchlebt hat, kann er das Bett stoppen. Aber die Gefahren sind noch nicht überstanden. Denn nachdem das Bett bezwungen ist, muss Gawan noch zwei Angriffe, erst von fünfhundert Steinschleudern, dann von fünfhundert Armbrüsten, überstehen. Die fünfhundert Schleudern und fünfhundert Armbrüste symbolisieren die mächtige Zauberkraft Klingsors. Hierbei ist die schwere Ausrüstung der Ritter eher hinderlich, sie erfüllt im normalen Kampf zwar ihren Dienst, ist jedoch gegenüber der Minne machtlos. Nun kommt ein in Fischhaut gehüllter Riese in den Saal, welcher Gawan aufs heftigste beschimpft und ihn nebenbei noch auf die darauf folgende Gefahr hinweist. Da der unbewaffnete Hüne kein standesgemäßer Gegner für einen Artusritter zu sein scheint, dient dieser Einschub wohl dazu, einen Bruch in der Art des Angriffs deutlich zu machen.
Der nun hereinspringende Löwe geht sofort brutal auf Gawan los. Der Löwe setzt Gawan stark zu, doch es gelingt, ihm eine Tatze abzuhacken und ihn schließlich mit einem Schwertstoß durch des Löwen Brust zu töten. Der Kampf gegen den „König der Tiere“ symbolisiert hier wohl den Kampf gegen das Höfische an sich. Gawan bricht nun, verwundet und verletzt, ohnmächtig auf seinem Schild zusammen.
Dieses Zusammenbrechen auf dem Schild bedeutet nun das Ende der Gefahren. Das Schloss ist erobert, der Zauberbann gebrochen. Der Schild Gawans im Löwenkampf, welcher für die Verkörperung der höfischen Gesellschaft steht, steht für die Minne. Im Kampf gegen Litmarveile hingegen sind die Rollen vertauscht: Das Zauberbett, welches die Minne verkörpert, ist hier die Gefahr, Gawans Ritterlichkeit sein Schutz."